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TANZTHEATER In “Hexen GmbH” räumt ein inklusives Ensemble tänzerisch mit Märchenklischees und Vorurteilen auf und begeistert das Publikum in der Schwankhalle
VON JENS LALOIRE
Eine High-Society-Lady stöckelt im Mini über einen imaginären Laufsteg, ihre Perücke scheint verrutscht, der Gang auf den hochhackigen Schuhen wackelig, die gesamte Erscheinung wirkt fragil. Vielleicht eine gestrandete Dame, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Wären da nicht diese 30 bis 40 Zentimeter langen, äußerst spitz zulaufenden Finger, mit denen sie unbeholfen rumfuchtelt, käme man nicht auf die Idee, dass da eine Hexe über die ganz in Weiß gehaltene Bühne schwankt – denn sie entspricht so gar nicht dem Klischee, das durch unsere Köpfe geistert. Wo ist die krumme Nase? Wo die markante Warze? Wo das Kopftuch, unter dem sich das zerzauste, schwarz-graue Haar hervorkräuselt?
Auch die anderen Märchenfiguren, die immer wieder für kurze Momente ins Licht treten, widersetzen sich auf der Bühne den auf sie zugeschnittenen Verhaltensmustern. Zum Beispiel die Prinzessin im weißen Kleidchen, die so zart und zerbrechlich vor ihrem männlichen Gegenüber dasteht und aus der es plötzlich ausbricht: Mit ein paar magischen Handbewegungen drückt sie den Recken zu Boden und haucht ihm (überhaupt nicht prinzessinnenhaft) das Lebenslicht aus.
Der spielerische Umgang mit stereotypen Märchenwelten zieht sich als roter Faden durch die neue Tanztheaterproduktion der “tanzbar_bremen”, die am Donnerstagabend in der ausverkauften Schwankhalle uraufgeführt wurde. “Hexen GmbH” räumt dabei nicht nur mit eindimensionalen Sichtweisen und Vorurteilen gegenüber Hexen auf, sondern zugleich mit Vorurteilen gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung; denn das Ensemble des Abends setzt sich aus Tänzerinnen und Tänzern mit und ohne Beeinträchtigung zusammen, die gleichberechtigt miteinander auf der Bühne agieren. In den besten Momenten der Aufführung spielt es für die Zuschauer keinerlei Rolle, ob dort auf der Bühne zwei professionelle Tänzerinnen ohne Beeinträchtigung oder zwei beeinträchtigte Tänzer eine Szene darstellen. In erster Linie geht es um den Tanz, die Szenen und die Gesamtkomposition des Abends. Das ist Günther Grollitsch wichtig, der gemeinsam mit Corinna Mindt für die künstlerische Leitung und Choreografie des Stücks verantwortlich ist: “Nicht der pädagogische Ansatz steht für mich im Vordergrund, sondern der künstlerische. Es geht darum, dass das Ganze Kraft hat.”
Diese Kraft entwickelt das Ensemble in vielen eindringlichen Szenen: Wenn zu Beginn die Gruppe am Lagerfeuer die mystische Stimmung heraufbeschwört, wenn ein wild gemischtes Märchenfigurenkabinett über die Bühne tobt oder fünf Tänzer gemeinsam einen schwarzen Ritter darstellen. Die Akteure überzeugen dabei vor allem als Team, das in hohem Tempo mit vielen Kostümwechseln allerlei Märchenwelten hervorzaubert und dekonstruiert. Unterstützt werden die gelungenen Gruppenchoreografien von der durchgehend präsenten und abwechslungsreichen Musik der Komponistin Dorothée Hahne, die Stimmungen verstärkt und Wechsel initiiert. Insgesamt verbreiten Musik wie Choreografie eine sehr mystische Atmosphäre, die gelegentlich auch humorvoll gebrochen wird – zum Beispiel, wenn fünf (statt sieben) Zwerge in türkisfarbenen Kapuzenpullis als drolliger Tölpeltrupp über die Berge trippeln, stampfen und stolpern.
Neben den drei professionellen und den drei beeinträchtigten Tänzern agieren in diesem Zwergenquintett sowie in anderen Szenen des Abends vier Schülerinnen und Schüler der Werkstufe des Schulzentrums Neustadt, die im Rahmen der Kooperation mit “tanzbar_bremen” erstmals mit Tanztheater in Kontakt gekommen sind und sich dafür erstaunlich gut in die Choreografien integrieren. Überhaupt ist “Hexen GmbH” vor allem ein Ensemblestück, das anhand von Rollenklischees aus dem Märchenkosmos mit Vorurteilen in unserer realen Welt aufräumt. Das Publikum dankte es mit lang anhaltendem Applaus und vielen Bravos.
Freitag, 14. & Samstag, 15. Februar, 20 Uhr; am Samstag, 15. Februar mit Publikumsgespräch nach der Vorstellung, Schwankhalle Bremen
“Nicht der pädagogische Ansatz steht für mich im Vordergrund, sondern der künstlerische. Es geht darum, dass das Ganze Kraft hat”
GÜNTHER GROLLITSCH, CHOREOGRAF
Original-Artikel bei taz.de
Unterschiedliche Klangbilder alter und neuer Meister | 20.09.2013 Gießener Anzeiger
20.09.2013 – LAUBACH
HESSENBRÜCKENMÜHLE Ensemble „Fontana di Musica“ beendet 11. Konzertsaison
Das ausgezeichnete Ensemble „Fontana di Musica“: Christian Handschke, Elisabeth Wirth, Elina Albach und Christoph Urbanetz. Foto: Schuette
(hgs). Mentor Dr. Holger von Paucker blickte in seiner Begrüßung zum Abschlusskonzert der 11. Konzertsaison im Konzertsaal des Kulturdenkmals Hessenbrückenmühle auf ein erfolgreiches Jahr zurück.
Mit dem Auftritt des 2009 in Berlin gegründeten und vielfach ausgezeichneten Ensembles „Fontana di Musica“ mit Elisabeth Wirth (Blockflöte), Christian Handschke (Barockvioline), Christoph Urbanetz (Viola da Gamba) und Elina Albach (Cembalo) wurde am Ende noch einmal ein Konzert geboten, das mit unterschiedlichen Klangbildern alter und neuer Meister zu begeistern wusste. Das junge Ensemble beschäftigt sich mit der historischen Aufführungspraxis des 17. und 18. Jahrhunderts und ist bestrebt, den Geist und Esprit dieser vergangenen Zeit wieder aufleben zu lassen. Die Musiker wollen deutlich machen, dass es sich hierbei nicht um alte oder veraltete Musik handelt, sondern um eine Energiequelle, aus der man heute wie damals schöpfen kann.
Das Programm unter dem Motto „Bianca e Oscura“ begann mit einem Stück aus dem Fluyten-Lusthof für Blockflöte solo, „Engels Nachtegaeltje“, von Jakob van Eyck (1590-1657), einfühlsam vorgetragen von Elisabeth Wirth. Es folgten kleinere Kompositionen von Jean-Féry Rebel (1660-1741) und Marais Marais (1656-1728). Im Konzert g-Moll „La Notte“ RV 439 von Antonio Vivaldi (1678-1741) stellte das Quartett seine immense Homogenität unter Beweis. Besonders großen Beifall erntete das Stück „Commentari III 1999“ der jungen Komponistin Dorothée Hahne (*1966). Die Zuhörer beeindruckte vor allem das zeitweise gleichzeitige Spiel zweier Flöten.
Einfache Melodien
Georg Friedrich Händels (1685-1759) Triosonate d-Moll HWV 386c für Flöte, Violine und Basso Continuo wurde vollmundig mit großem Ausdruck vorgetragen, wobei vor allem das Andante beeindruckte. Die von einfachen Melodien geprägten Ausschnitte aus dem „Tierkreis“ von Karlheinz Stockhausen (1928-2007) mit Skorpion/Mars, Waage/Venus in einer Version für Barockinstrumente, Jungfrau/Merkur und Löwe/Sonne waren ebenfalls für das Quartett in seiner Interpretationsfähigkeit zugeschnitten.
Von einem unbekannten Komponisten (Anonymus) erklang als längstes Stück Contrapunctus sopra la Baßgaylos d´Altr „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ in unnachahmlicher Klangfülle. Nach dem Schlussstück, dem Pariser Quartett e-Moll Nr. 12 von Georg Philipp Telemann (1681-1767), forderte der lang anhaltende Applaus des begeisterten Publikums das Ensemble zu einer Zugabe heraus, die mit dem dritten Satz aus der Händelsonate erfüllt wurde.
Quelle: Gießener Anzeiger 20.09.2013