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Ein kongeniales Zusammenspiel aus Tanz, Komposition und Improvisation – voller Humor und Poesie | 05.2013 theaterpur.net

Henrietta und der Hörner Klang

von Dietmar Zimmermann

Kurz und Bündig:

>> Ein kongeniales Zusammenspiel aus Tanz, Komposition und Improvisation – voller Humor und Poesie <<

Einen Dreier-Pack mit vollkommen unterschiedlichen Produktionen von drei diametral entgegengesetzte Konzepte verkörpernden Choreographen bot PACT Zollverein an diesem Tag im Rahmen des Festivals tanz nrw 13 an. Zeitgenössischen Tanz sahen wir nur bei Henrietta Horn – Tanz mit einem Augenzwinkern.

Rotlicht ist eine Art Suite aus neun verschiedenen Szenen – Kürzest-Szenen zum Teil, die manchmal nur wenige Sekunden dauern. Henrietta Horn arbeitet dabei mit der Komponistin und Verlegerin Dorothée Hahne zusammen, die gemeinsam mit ihr auf der Bühne steht und – na ja, zum Beispiel ins Horn bläst. Oder besser: am Horn kratzt. Es kommt, was geht heißt Szene 1 – schon die Überschriften sind ironisch, und die Beschreibungen auch, denn angekündigt werden: „Hahne mit Horn und Horn“. Als Horn Nr. 2 neben Henrietta kommt diesmal ein Alphorn zum Vorschein, und wir staunen, was alles geht mit solch einem Instrument: Da wird gepustet und gekratzt – nur nicht geblasen wie es sich gehören würde. Und das ergibt einen magischen Sound, zu dem Henrietta Horn Tanzschritte vollführt; form follows function, der Körper folgt dem vor ihr her tänzelnden Arm. Am Ende bewegt sie sich hinaus aus dem Karree der Tanzfläche, einige Sekunden lang ist ihr Schattenriss noch auf der Leinwand an der Rückseite zu sehen. Black, und es folgt Szene 2.

„Schrittweise“ kommt sie wieder herein. Schrittweise, so heißt die Szene und so heißt, was wir hören: Es ist eine Weise, komponiert aus den elektronisch bearbeiteten Klängen der Schritte der Tänzerin auf dem weichen Bühnenboden. Zunächst scheinen sie einfach nur leicht asynchron zu den Bewegungen zu sein, doch dann kommt Spannung auf: Der Tanz wird gehetzter, die Geräusche lauter, sie multiplizieren sich, werden bedrohlich. Plötzlich blicken wir in helles Licht, immer stärker schwellen die Geräusche an, die nun kaum noch nach Schritten klingen. Aber sie sind es: Kongenial hat die Komponistin Hahne die Geräusche und Klänge der Tanz-Bewegungen elektronisch verfremdet und zu einer eigenen Partitur bearbeitet; wir assoziieren ein aufkommendes Unwetter. Eines in der Natur? Oder eines in der Seele?

Im Hörstück, zu dem tatsächlich nicht getanzt wird, vernehmen wir den Klang der Brandung, knarrende Bohlen, knarzende Türen, Klopfen. Irgendwie gruselig, irgendwie auch lustig. Portabel heißt die kurze Sequenz; Horn und Hahne spielen mit dem französischen Wort für Hafen (port; siehe Brandung), dem lateinischen für Tür (porta) und dem englischen für Mobiltelefone oder übertragbare Software (portable) und erfinden ein stimmungsvolles Konzert aus digitalisierten Türgeräuschen.

Und so geht es weiter. Manchmal werden Geräusche und Video-Bilder live aufgenommen, unmittelbar von einer kleinen Kamera und einem kleinen Mikrophon Zentimeter vor der auf dem Boden sich windenden Tänzerin; sie werden sofort von Hahne digital bearbeitet und wieder eingespielt. Dann erscheint auf der Leinwand in roter Schrift ein kleiner Hinweis „on air“; das Signal des Tonstudios mag für den anderenfalls rätselhaften Titel des Abends stehen. Mal erklingt das Echo von Horns Atem und der Geräusche ihrer Bewegungen im Rücken des Publikums; es wird auch mit der Rezeptionsweise unserer Hör- und Seherlebnisse, mit unseren programmierten Hör- und Seherfahrungen gespielt. Immer wieder wird angespielt auf den Namen der Tänzerin: Hörner aller Art spielen eine Rolle: ein Schneckenhorn wird geblasen, aber auch ein Abflussrohr aus dem Baumarkt, und irgendwann glauben wir ein Schiffshorn zu hören. Wenn Horn einmal wieder ein witziges Solo tanzt, pupst Hahne geradezu dazu ins Horn. In drei witzigen Kürzest-Intermezzi treten Horn und die sonst am Rand sitzende und sampelnde oder musizierende Hahne gemeinsam in der Mitte der Bühne auf, Hahne mit einem Horn natürlich, einer Tuba. Aber das Spiel darauf übernimmt Henrietta: mit dem Mundwerk macht sie die Geräusche eines Konzerts nach. Das Horn bleibt stumm. Nach wenigen Sekunden verbeugen sich beide und gehen ab. Beim zweiten Mal ist es umgekehrt: Horn tut nix, und Hahne tutet ins Horn. Und zuletzt die Vollendung: Tanz und tatsächlich Musik, echtes Tubaspiel, vollkommen synchron – dass es sowas noch gibt…!

Am Ende haben wir eine Stunde mit kleinen, leichten Miniaturen genossen, voller Humor, manchmal aber auch voller Trauer, trotz aller Abstraktion und trotz oft bewusst den Bewegungen hinterherlaufender oder sie kontrastierender Musik voller Harmonie und voller Poesie. Gut gelaunt stoßen wir nach dem Schlussapplaus auf und brechen ins Horn.

Besuchte Aufführung: 04.05. 2013 gezeigt im Rahmen des Festivals tanz nrw 13
Choreographie – Henrietta Horn | Musik – Dorothée Hahne

PACT Zeche Zollverein, Essen

Quelle: http://theaterpur.net/theater/tanz/2013/05/essen-rotlicht.html