Die neue Platte – Experimente am Instrument | 12.10.2008 Deutschlandfunk

12. Oktober 2008
09:00bis10:00

Neue Musik

Von Frank Kämpfer

Die 38-jährige Violinistin Lenka Župková ist Absolventin der Musikakademie Leos Janacek in Brünn und liebt das Experimentieren. Sie ist in böhmischer Folklore verwurzelt und zugleich im avancierten Theater zu Haus. Auf ihrer neuen CD erkundet sie zeitgenössische Klang-Welten und kombiniert dazu die traditionelle, akustische Geige mit der elektrischen. Außerdem stellt die “Neue Platte” Jan Gerdes, vor, Schlagzeuger und Pianist, den Perkussionisten Olaf Tzschoppe und den Organisten Zsigmond Szathmáry.

Peter Köszeghy, Libertinage
CD ARTS 8115 2, LC 13459

Folklore? Klassik? Rock- oder Theatermusik? Von allem etwas oder alles in einem? Stil, Genre und Instrumentarium jedenfalls scheinen unvermittelt zu wechseln – Komponist Peter Köszeghy, ein Ungar in Leipzig, hält, so scheint es, von Klangschönheit wenig und gibt sich banal, partiell aggressiv. Doch der erste Höreindruck trügt. Die vermeintlich stereotype Figur rührt ursächlich aus einem zarten Glissando – dieses entfaltet sich und wird variiert, bevor es in raue Geräuschklänge mündet, wo es sich – je nach Sicht auf die Dinge – klanglich festzufahren beginnt oder von Konventionen befreit. Jedenfalls ist keine Elektrogitarre am Werk – Geigerin Lenka Župková spielt Köszeghys Stück “Libertinage” auf ihrer fünfsaitigen elektrischen Violine, die sie um einen Verzerrer erweitert hat.

Die heute 38-jährige Absolventin der Brünner Musik-Akademie ‘Leos Janacek’ liebt das Experimentieren. Sie ist in böhmischer Folklore verwurzelt und zugleich im avancierten Theater zu Haus. Auf ihrer neuen CD erkundet sie zeitgenössische Klang-Welten und kombiniert dazu die traditionelle, akustische Geige mit der elektrischen – und beide mit Effektgeräten, elektroakustischen Zuspielungen und mit Live-Elektronik.

Gleich fünf neue Kompositionen sind für die Interpretin, oder besser: In Zusammenarbeit mit dieser entstanden – sie stehen auf der CD für verschiedene spiel- und klangtechnische Wege und Welten: Thorsten Töpps zum Beispiel arbeitet in “Mystify” mit Verhallung, Verstärkung und Loops; Annette Schlünz’ Solostück Zebra beginnt mit Flageoletts, zitiert Spieltechniken der klassischen Geige, nutzt Echo und Hall und mündet in ein für die Komponistin unerwartet furioses Finale. André Bartetzki rückt bei seiner “String-Theory” die Live-Elektronik ins Zentrum und Geigerin Župková arbeitet in ihrem eigenen Werk “Strepy” (dt.: Scherben) mit Geräuschklängen und Pausen. Die nordrhein-westfälische Komponistin Dorothée Hahne bedient sich in ihrem Stück “RestZeit” vorklassischer Formen wie Kanon und Imitation und verarbeitet Klang-material der E-Violine zu einem komplexen und partiell nostalgisch anmutenden Vexierspiel. – Ein Ausschnitt hieraus:

Dorothée Hahne, RestZeit
CD ARTS 8115 2, LC 13459

Lenka Župková mit einem Ausschnitt aus Dorothée Hahnes Komposition “RestZeit”. Die tschechische Streicherin erweist sich auf ihrer Anfang September beim Label WERGO erschienenen Artist-CD als Spezialistin am Instrument und zudem als gewiefte Elektronikerin. Die Mehrzahl der Titel wurde im Elektronischen Studio der Akademie der Künste in Berlin produziert. – Insgesamt ein vielgestaltiges, spannendes, niemals langweilendes Album.

Auch im folgenden Fall hat ein Interpret Werke unterschiedlicher Couleur zu einer sehr individuellen CD zusammengestellt. Jan Gerdes, Jahrgang 1964, studierter Schlagzeuger und Pianist, hat dazu fünf neue Klavierwerke von Komponisten gewählt, denen er persönlich verbunden ist und deren Handschriften ihn interessieren. Als programmatische Klammer der Platte ist das Verhältnis von Umwelt und Kunstwelt anvisiert. Hier finden sich Bernfried Pröves kantige Miniatur Ataraxie, die auf das Unerschütterliche des Daseins verweist, sowie Peter Gahns stoisch in sich ruhendes Stück Mit geliehener Aussicht, in dem der nordrhein-westfälische Komponist über den Japanischen Garten reflektiert. Schwerpunkte setzen zwei 20-Minüter: Jörg Widmanns, von Bildender Kunst inspirierte “Lichtstudie III”, die in Bereichen des Leisen spielt und dem Interpreten immenses Geschick abverlangt, sowie Sidney Corbetts “Valentines”-Zyklus, der zehn lyrische Miniaturen vereint, mit denen der Komponist auf ihm wichtige Personen verweist.

Als Musikbeispiel habe ich einen Ausschnitt aus dem ersten Titel der Platte gewählt. Er stammt vom jungen Philipp Maintz, der dem Album den Titel verleiht: “Gelände/Zeichnung”. Maintz, ein Schüler von Robert HP Platz, hat eine virtuelle Landschaft im Sinn, in der sich instrumentale und elektroakustische Klänge ineinander verweben bzw. im Zwiegespräch sind.

Philipp Maintz, Gelände/Zeichnung
CD Edition Zeitklang ez-260238, LC 00581

Jan Gerdes (Klavier) spielt Klaviermusik von Philipp Maintz, Sidney Corbett, Peter Gahn, Bernfried Pröve und Jörg Widmann. – Es ist ein beachtliches Wagnis, und ganz sicher ein verdienstvoller Ausnahmefall, wenn sich ein Pianist mit Ambition ausschließlich mit Gegenwartsmusik porträtiert und dazu Werke jüngerer Komponisten bemüht. Die solide gemachte CD ist beim Label “Edition Zeitklang” erschienen.

Die Kombinationen von Instrumenten, deren Klang in früheren Zeiten als zu gegensätzlich und deshalb nicht kompatibel erschien, birgt in der Neuen Musik Spiel-Räume für Neues – wobei dies besonders aus dem einst Disparaten erwächst.

Auf der dritten und letzten neuen CD, die ich Ihnen heute anspielen will, geht es um Begegnungen von Orgel und Schlagzeug, die Dank verschiedener kompositorischer Handschriften sehr unterschiedliche sind: Annette Schlünz’ Stück “Verstummen” verlangt beispielsweise ein Gegeneinander, in der der Perkussionist die Orgel akustisch zum Schweigen zu bringen anstrebt. Dániel Peter Biró lässt in seinen “Hymnen” immer wieder die traditionelle Kirchenorgel anklingen, woraufhin simultane Staccati der zwei Instrumente sehr schnell intervenieren. Gerald Eckert entfaltet in seinen zehnsätzigen “Inschriften” das immense klangliche Spektrum von Orgel und Schlagwerk und variiert Farben und Lautstärken äußerst differenziert.

Perkussionist Olaf Tzschoppe, Jahrgang 1962, derzeit Schlagzeug-Professor in Bremen, hat einige Erfahrung mit Neuer Musik im Sakralraum. Die räumliche Wirkung von Schlagwerk darin, ist auf einer Stereo-CD leider nur ahnbar – der bei Tzschoppe offenkundig sehr differenzierte Umgang mit Instrumentarium und Raum weckt Lust auf Live-Eindrücke davon. Orgel-Partner Zsigmond Szathmáry ist ein Urgestein am Instrument. Der Orgel im Bremer Dom St. Petri gewinnt er Faszinierendes ab. Besonders spannungsvoll wirkt die von Radio Bremen koproduzierte Duo-CD, wenn die Elektroakustik hinzu kommt. Dies ist beispielsweise bei Bernfried Pröves “Pulsationen” der Fall, wo ein mehrkanaliges Zuspielband für differenzierte Klangsymbiosen sorgt.

Bernfried Pröve, Pulsation VIII. daraus: Satz 2 Konzentrische Ellipsen
CD Edition Zeitklang ez-37035, LC 00581

Soweit ein Hineinhören in Bernfried Pröves “Pulsation VIII” für Orgel, Schlagzeug und elektroakustisches Zuspiel. Die Interpreten Olaf Tzschoppe und Zsigmond Szathmáry ergeben auf Grund ihrer Verschiedenheit ein gut interagierendes Duo. Diese klanglich sehr aparte Produktion ist beim niedersächsischen Label Edition Zeitklang erschienen. Zuvor habe ich Ihnen ein gleichfalls bei Zeitklang verlegtes Pianisten-Porträt mit Jan Gerdes sowie die bei WERGO erschienene Artist-CD der Geigerin Lenka Župková vorgestellt.

Diskographie

Peter Köszeghy, Libertinage
CD ARTS 8115 2, LC 13459

Dorothée Hahne, RestZeit
CD ARTS 8115 2, LC 13459

Philipp Maintz, Gelände/Zeichnung
CD Edition Zeitklang ez-260238, LC 00581

Bernfried Pröve, Pulsation VIII. daraus: Satz 2 Konzentrische Ellipsen
CD Edition Zeitklang ez-37035, LC 00581

Quelle: dradio

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